Im Fightclub – Wenn es zur Sache geht

Eine Gruppe von jungen Erwachsenen trifft sich regelmässig zum Kämpfen auf dem Schulhausplatz. Nach langer Pause findet nun wieder die erste Fightnight statt und ich darf dabei sein.

Die Jungs hatten mir versprochen, dass sie sich melden würden, wenn wieder eine Fightnight stattfinden würde. Dass dies innert kürzester Zeit der Fall sein würde, hätten wir wohl alle nicht gedacht. Ich bin etwas nervös, aber ich freue mich. Sie hatten mir ein paar Videos gezeigt und wir haben viel über die Abläufe, Regeln und Grundsätze gesprochen. Und trotzdem weiss ich nur so halb, was auf mich zukommen wird.

Ich komme zeitlich etwas knapp an, finde aber erst wenige Menschen auf dem Schulhausplatz vor. Von den fünf Jungs, die ich kennengelernt habe, sind vier anwesend. Max begrüsst mich freudig, alle sind etwas nervös.  Der erste Kampf seit langer Zeit und dann steigen auch gleich Leander und Mischa in den Ring an diesem Abend. In der folgenden halben Stunde versammeln sich immer mehr Leute auf dem Schulhausplatz, alle haben ein paar Bier dabei, die Stimmung ist ausgelassen und irgendwann sind tatsächlich etwa dreissig Leute auf dem Platz.

Seid ihr alle fucking hyped?!

max

Max betritt das Volleyfeld und sammelt die Zuschauenden um sich. «Ich möchte euch ganz herzlich begrüssen zur ersten Fightnight seit etwa einem Jahr!». Das Publikum johlt und alle heben ihr Bier. «Für alle, die zum ersten Mal hier sind. Ihr steht um das Feld herum, ihr seid der Ring. Falls einer der Fighter in eure Richtung fällt, weicht nicht zurück, sondern haltet sie davon ab, dass sie auf den Boden knallen.», ich wusste das aus dem Gespräch mit der Gruppe und trotzdem hatte ich mir das im vornherein nicht überlegt. Wenn ein ausgewachsener Mann mit Wucht in mich reinfällt, bin ich wohl nicht der effektivste Ring, trotzdem reihe ich mich in den Kreis ein.

Das Publikum stellt sich auf. An den Metallpfosten des Netzes werden «erfahrene» Teilnehmer platziert. Heute zum Beispiel Nico. Dies zum Schutz der Kämpfer, falls sie in die Richtung der Stangen fallen würde, dass da ein Puffer zwischen Kopf und Metall ist. Bei den frischeren Teilnehmenden ist die Befürchtung da, dass sie im Zweifel ausweichen würden. Ein Tisch neben dem Feld wird noch zur Seite geräumt, die Kämpfer werden mit viel Gejohle angekündigt, es wird passende Musik angelassen, bei beiden wird der Mundschutz kontrolliert und dann geht der Kampf auch schon los. Während Leander und Mischa vorher noch herumwitzelten und grinsten, wechselt der Ausdruck sofort. Allein schon der Mundschutz macht die Gesichtszüge hart, sie fokussieren sich und die Arme gehen hoch hin die Deckung. Drei Mal zwei Minuten, dazwischen jeweils fünf Minuten Pause.

Let’s fight

Leander geht sofort in die Offensive, Mischa wird zurückgedrängt und versucht im Rückwärtsgang ein paar Fäuste zu platzieren. Leander hält die Deckung oben, trotzdem landet Mischa ein paar Schläge ins Gesicht. Leander duckt sich unten durch weg und holt aus, Mischa weicht aus. Und schon muss der Fight zum ersten Mal unterbrochen werden, der Boxhandschuh von Leander hat sich gelöst.

Es folgt ein schneller Schlagabtausch, bei dem Mischa den Kürzeren zieht. Von den Schlägen, die er kassiert, lässt er sich aber nicht gross beeindrucken. Sie tänzeln hin und her und versuchen aus der Distanz ein paar Fäuste zu landen. Mischa gelingt dies dank längerer Reichweite sogar.

Und dann ist es still. Die Musik ist ausgefallen. Das Publikum beschwert sich und Max zieht das Handy aus der Tasche, um wieder für Stimmung zu sorgen. Derweil geht der Kampf weiter und Leander verpasst Mischa ein paar Schläge in den Magen. In der Stille wirkt das aber nur halb so brutal, irgendwie komisch. Die Musik kommt zurück und Mischa platziert seine Faust in Leanders Gesicht. Sie treffen immer wieder aufeinander, verteilen ein paar Schläge und weichen dann wieder zurück. Man sieht erste Ermüdungserscheinungen, die Distanz wird etwas grösser und die Angriffe weniger. Mit einem letzten Aufbäumen prescht Leander nochmals nach vorne und drängt Mischa an den Rand des Feldes und hämmert auf seinen Kollegen ein. Nachdem Mischa ein paar Schläge ins Gesicht kassiert hat, duckt er sich unter einem Faustschlag weg und erst in diesem Moment sieht man, wie kraftvoll die Schläge durchgezogen sind. Die Vorstellung, dass diese Schwünge jeweils von Mischas Gesicht gebremst werden, bereitet mir ein wenig Unbehagen.

Der Ring fängt an, die letzten zehn Sekunden runterzuzählen und Mischa legt noch einmal nach. Die letzten vier Sekunden schnaufen die Jungs nur noch, keiner versucht noch einen letzten Schlag zu setzen. Und dann ist die erste Runde vorbei, das Publikum jubelt und Mischa und Leander umarmen sich. Nun gibt es eine kurze Pause und sofort entledigt sich Leander seines Mundschutzes.

Kurz durchatmen

Die Pause ist ein kompletter Bruch in der Stimmung. Ein neues Bier wird geöffnet und ein paar der Zuschauenden versammeln sich um den Pingpongtisch für eine kurze Runde. Im Hintergrund zwitschern die Vögel, es wird gelacht und geplaudert.

Ich fand die ersten zwei Minuten brutal, aber die Stimmung war angenehm. Keiner der beiden schien wirklich zu leiden unter den Schlägen. Trotzdem würden sie wohl am nächsten Tag mit ein paar blauen Flecken aufwachen.

Dann ist die Pause vorbei und alle stellen sich wieder um das Volleyfeld. Das Prozedere ist ähnlich, alle jubeln, der Ring wird geschlossen, der Mundschutz kontrolliert und die zweite Runde beginnt. Man sieht, dass den Jungs die Pause gutgetan hat. Sie sind wieder schneller und dynamischer. Dann läuft es wieder ähnlich ab, Leander prescht vor und zwingt Mischa in die Defensive, Mischa landet ein paar Treffer aus der Distanz, der Klettverschluss von Leanders Boxhandschuh löst sich.

Die zweite Runde erscheint mir etwas durchdachter. Sie tänzeln nicht mehr so fest herum, die Schläge sind weniger, dafür gezielter. Wieder drängt Leander Mischa an den Feldrand. Zum ersten Mal muss der Ring eingreifen und Mischa im Feld halten. Immer wieder ziehen die zwei auseinander, um dann wieder aufeinander zu prallen. Leander lässt es Fäuste hageln, doch Mischa übersteht die Gesichtsmassage gut. Beide sind heftig am Schnaufen, Leander stützt sich auf den Knien ab. Der Ring beginnt, von zehn rückwärtszuzählen. Leander lacht, für beide ist klar, dass sie jetzt nicht noch einmal aufeinander los gehen.

Ein letztes Aufbäumen

Es folgt eine weitere Pause, die Szene ist ähnlich, die Stimmung bleibt gut. Ich drehe mir eine Zigarette und plaudere mit einigen der Anwesenden. Ich werde sehr offen empfangen und bin schnell in Gespräche verwickelt und als die zweite Pause durch ist, habe ich gar nicht mehr so Lust auf einen dritten Kampf. Gleichzeitig bin ich schon gespannt, was sie jetzt noch auf Lager haben, ob jetzt noch etwas Neues kommt, oder ob die ganze Sache langsam schlaff wird.

Alle begeben sich wieder auf ihre Positionen und die Kämpfer sehen sogar noch einigermassen fit aus. Mischa hat sich mittlerweile seines Shirts entledigt und kämpft mit freiem Oberkörper. Der Ablauf ist erneut gleich, die Energie ist jedoch anders. Beide gehen sofort wieder in den Kampf, dieses Mal mit etwas mehr Distanz, dafür mit viel Bewegung. Es ist die letzte Runde, um noch Punkte zu sammeln. Schon wieder löst sich der Klettverschluss, langsam wären wohl neue Boxhandschuhe fällig.

Und dann geht Leander in die Offensive und drängt Mischa in den Ecken, indem ich als Ring mitfungiere. Und Mischa kassiert. Keinen Meter sind die Beiden von mir entfernt, als Mischa einen um den anderen in die Seite bekommt. Ein Boxhandschuh auf die nackte Haut klingt ganz anders als auf ein T-Shirt.

In die Ecke gedrängt schlägt Mischa wild um sich und zwingt Leander zurück in die Feldmitte. Und jetzt kann Leander langsam nicht mehr ausweichen. Ein Schalter hat umgelegt in Mischa und da ist plötzlich eine Energie, die ich vorher so nicht gesehen habe. Und dann müssen beide verschnaufen. Noch eine Minute zu kämpfen, doch sie stehen einfach da. Max fordert die beiden auf, weiterzumachen und Leander ruft Mischa zu, er solle doch aufgeben. Alle lachen. Es folgen nur noch wenige Schläge und dann ist der Kampf auch schon vorbei. Das Publikum applaudiert und Leander und Mischa umarmen sich. Es folgt eine letzte kurze Pause, damit die Jury sich besprechen kann.

Ein historischer Tag

Die Menge zerstreut sich wieder ein wenig, die nächsten Bierdosen werden geöffnet und die Jungs lassen sich von allen auf die Schulter klopfen. Es ist zwar immer noch hell, aber zwischen den Bäumen ist die Sonne schon fast untergegangen. Der Himmel strahlt in einem kitschigen pink und will so gar nicht zu den Szenen passen, die sich gerade noch abgespielt haben.

Max kehrt mit der Jury zurück und verkündet, dass dies ein historischer Tag sei. Nicht nur, dass sie jetzt das erste Mal nach so langer Zeit wieder kämpfen konnten, sondern auch das Resultat sei aussergewöhnlich. Zum ersten Mal in der Fightclubgeschichte gibt es ein Unentschieden. Damit hat wohl niemand gerechnet, auch ich nicht. Aber ich finde, dass das Ergebnis fair ist. Zwar gibt es jetzt keinen Gewinner, der sich feiern lässt, aber das ist auch okay. Die Stimmung ist ausgelassen und die Fightnight ist vorbei.

Ich gehe mit einem anderen Gefühl nach Hause, als ich gekommen bin. Die Jungs haben gesagt, sie melden sich bei mir, wenn es wieder eine Fightnight gäbe. Und das stimmt mich irgendwie euphorisch. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich das supertoll fand, als Mischa knapp einen Meter von mir entfernt seine Nieren weichgeklopft bekommen hat, aber es war aufregend. Und es war anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Die Jungs hatten mir schon Videos gezeigt und ich wusste, wie das funktionieren würde. Trotzdem fand ich es erschreckend brutal. Da ist eben ganz viel, das ein Video nicht transportieren kann. Meine Vorstellung von dem Ganzen war weniger brutal. Aber auf eine andere Art auch brutaler. Der Abend war freundschaftlich, die Stimmung locker und es wurde viel gelacht. Das Geräusch, wenn ein Boxhandschuh auf einen Kiefer trifft, werde ich trotzdem nicht so schnell vergessen.

Dies ist Teil 3 der Geschichte «Im Fightclub». Hier findet ihr Teil 1 und Teil 2.