Im Fightclub – Wenn sich Junge ihren Raum nehmen

Wenn Junge sich regelmässig treffen, um sich auf die Fresse zu geben, ist das irritierend. Für die Gruppe ist der Fightclub ein Safe Space, für das Dorf ein Grund zur Besorgnis und für die Gemeinde ein Problem.

Dies ist Teil 2 der Geschichte «Im Fightclub». Im ersten Teil habe ich die Jungs zum ersten Mal getroffen und habe mir erklären lassen, was in dem Fightclub so passiert, warum sie das tun und was es ihnen gibt. Während wir also im ersten Teil bei der Gruppe waren, blicken wir jetzt auf die Akteure rundherum.

Wenn man jugendlich ist, gibt es viele Beschäftigungsmöglichkeiten. Man sieht seine Freunde in der Schule, ist Teil von Sport-, Musik- oder Pfadigruppen oder besucht vielleicht den Jugendtreff. Irgendwann wird man älter und wächst aus dem einen oder anderen Hobby heraus. Dann kommen vielleicht die ersten Bars und Clubs. Pech ist dann, wenn man sich das nicht leisten kann, oder das einem nicht entspricht. Und dann ist da plötzlich kein Raum mehr, der spezifisch auf diese Altersgruppe ausgerichtet ist. Es ist dieses Alter, in dem junge Erwachsene überall dabei sein können, aber nichts ist für sie ausgestaltet. An diesem Punkt befindet sich die Gruppe von Jungs vor mir. Sie fühlen sich zu alt für Orte wie einen Jugendtreff und doch wollen sie etwas erleben. Zusammen ein Bier trinken ist schon schön, aber auf Dauer ist das einfach nicht genug. Und so haben die Jungen angefangen, sich regelmässig beim Schulhaus zu treffen, um miteinander zu kämpfen.

Besorgte Eltern und Nachbarschaftswache

Wir haben viel über ihre Motivation gesprochen, was es mit den Jungs macht und wie sich der Fightclub entwickelt hat. Wir sitzen für dieses Gespräch neben dem Schulhausplatz, auf dem die Kämpfe jeweils stattfinden. An dem Ort, an dem wir gerade eine Zigarette rauchen und über den Fightclub reden, werden am Tag darauf wieder Kinder herumrennen und ihre grosse Pause geniessen. Nachdem wir also viel über die Jungs selbst geredet haben, soll es jetzt mehr um die Personen um sie herum gehen. Denn schliesslich werden auch diese vom Fightclub tangiert, wenn auch nicht so direkt. Schnell kommen wir im Gespräch auf die Eltern, deren Freunde, Nachbarn und am Ende das ganze Dorf. Was in einem Dorf geschieht, macht schlussendlich immer schnell die Runde. Und so war es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Jungs innert kurzer Zeit mit besorgten Eltern, Dorftratsch und skeptischen Anwohnerinnen und Anwohnern konfrontiert waren.

Nico*: «Meine Eltern haben das früh wahrgenommen. Man hört es eben im Dorf auch sehr gut und dann hat es halt plötzlich angefangen, dass an den Dienstagen immer rumgeschrien wurde. Und meine Eltern waren dann schon so ein bisschen besorgt gefragt worden, was das sei.»

Anstatt das Gespräch mit den Jungen zu suchen, bildete sich im Dorf eine Nachbarschaftswache. Und so wanderten für ein paar Abende besorgte Erwachsene an den Fightnights vorbei und schauten von weitem zu.

Nico: «Da sind dann plötzlich patrouillierende Eltern vorbeigekommen. Und das sind schon so die zwei drei üblichen Verdächtigen aus dem Dorf gewesen, die eh schon immer ein Problem hatten, wenn etwas läuft.»

Diese Patrouille sei dann aber schnell wieder abgeblasen worden, da der Rest des Dorfes nicht mitmachte. In der Folge wurde den Jungs aber klar, dass es wichtig war, das Gespräch mit den Dorfbewohnenden zu suchen.

Felix: «Wir haben da viel Lobby-Arbeit betrieben. Wir haben mit vielen Menschen darüber geredet. Es haben viele Eltern nachgefragt und wir haben gute Gespräche geführt und konnten eben auch vermitteln, dass es hier nicht um brutales Blutvergiessen geht, sondern vielmehr um das gegeneinander antreten und Kräfte messen.»

Mittlerweile weiss fast das ganze Dorf Bescheid. Es wird toleriert und von den meisten mit einem Schmunzeln wahrgenommen. Schliesslich seien sie ja auch alle erwachsene Menschen und nicht die Jugend, die ausser Rand und Band ist. Auch der Dynamik der Jugendgruppen im Dorf habe der Fightclub gut getan. Während es früher viele kleine Gruppen gegeben hatte, entstand eine grosse Gemeinschaft. Es seien alle viel offener und gleichzeitig zusammengeschlossener geworden als früher. So haben sich die Jungen ihren eigenen Raum geschaffen, der dem Dorf guttue. Damit treten sie in die Fusstapfen ihrer Eltern, denn das Dorf ist sehr unabhängig und eigenständig. Wenn ein Angebot fehlt, schaffen sie es sich selbst. Es gibt immer wieder eigenständige Dorfläden und die Bauern aus der Umgebung kommen regelmässig vorbei und bringen Gemüse. Und auch die Generation der Eltern trifft sich regelmässig auf ein Bier und organisiert hin und wieder gemeinschaftliche Anlässe und Discos. Sie träfen damit also absolut den Geist des Dorfes, so Max.

Ein Stück Skepsis bleibt

Ich habe trotzdem noch das Gespräch mit einer Anwohnerin gesucht, denn ich wollte den Blick der anderen Seite haben. Sara ist im Dorf aufgewachsen und hat die Geschichte schon in ihren Anfängen gekannt, als es noch keine Boxhandschuhe und Mundschutze gab. Erfahren hatte sie die Geschichte von ihrem kleinen Bruder. Im ersten Moment war das für Sara sehr befremdlich, denn sie hatte als Kind selbst diese Primarschule besucht.

«Und dann waren da plötzlich Jugendliche, die sich auf dem Volleyfeld die Nase blutig prügelten.»

Sara

Sie hatte sich das Ganze dementsprechend dramatisch vorgestellt. An dem Ort, an dem sie ihre Apfelschnitze gegessen hatte, wurden nun Nasen gebrochen. Sara suchte das Gespräch mit ihrer Mutter und auch mit einer Lehrperson der Schule selbst. Nebst der Skepsis waren die Menschen in ihrem Umfeld aber vor allem besorgt. Sara sorgte sich um die jüngeren Jugendlichen, die vielleicht früh hineingerieten.

Sara: «Am Abend sind die Jugendlichen halt alle beim Schulhaus, zum Teil auch Kinder. Und wenn dann dort diese Kämpfe sind, kriegen die das natürlich mit. Was für ein Lebensbild bekommen die dann? Da kommen sie dann auch mit Dingen in Berührung, mit denen sie halt noch nicht in Berührung kommen sollten.»

Jetzt sei das aber anscheinend nicht mehr so, so Sara. Am Morgen finde man weder leere Bierdosen noch Blut auf dem Schulhausplatz (sie selber hat das nie gesehen, sondern nur davon gehört). Die Jungs seien sich ihrer Verantwortung bewusster geworden und das Ganze sei sehr viel zivilisierter als Sara sich das vorgestellt hatte und auch zivilisierter als in ihren Anfängen.

Sara: «Mittlerweile war ich sogar einmal an einer Fightnight und ich glaube, dass sie viel gelernt haben. Sie haben all diese Regeln und schauen, dass am Ende aufgeräumt ist. Ich denke, das hat sich stark entwickelt.»

Trotzdem wünscht sie sich, dass die Jungs auch etwas anderes machen können. Sie sieht die positiven Entwicklungen, sieht die Jungs beim Sport machen und doch bleibt eine Restskepsis. Es sei halt schon extrem.

Von gegeneinander zu miteinander

Max bastelt aus zwei leeren Bierdosen einen Aschenbecher. Langsam wird es dunkel und meine Notizen werden nur noch vom Handylicht der Jungs beleuchtet. Das bunte Muster auf dem Tisch ist nur noch in Graustufen zu sehen, ab und zu glüht rot eine Zigarette auf. Leander wirft seine leere Bierdose in den Abfalleimer neben sich und ich denke wieder an die Kinder, die am nächsten Tag hier herumspringen werden. Nebst den Anwohnerinnen und Anwohnern sind es eben auch die Kinder, die Schule und am Ende die Gemeinde, die von der Gruppe tangiert werden. Und das hat auch schon für Knatsch gesorgt.

Die Jungen treffen sich beim Schulhaus, um das restliche Dorf nicht zu stören und dennoch etwas lauter sein zu können. Doch auch beim Schulhaus geht das eigentlich nicht, denn es ist nicht erlaubt, nach 22 Uhr auf dem Gelände der Schule zu sein. Um den Jungen entgegenzuwirken, schickte die Gemeinde immer wieder ein privates Security Unternehmen vorbei. Dies kritisierten die Jungs im Gespräch mit mir stark. Anstatt das Gespräch mit den Jungen des Dorfes zu suchen, wurden sie weggeschickt. So verschwand die Gruppe für ein paar Minuten und sobald die Securities weg waren, versammelten sich alle wieder. Am Problem selbst änderte sich nichts.

Felix: «Ich finde es auch absolut komisch, dass die Gemeinde einfach diese komische Sicherheitsfirma anstellt, um mit Kids und Jugendlichen zu interagieren. Was ist das denn für eine Idee? Es ist halt komplett auf Repression gesetzt.»

Deshalb suchte die Gruppe selbst das Gespräch mit der Gemeinde und der Schule, denn für sie gab es keinen alternativen Ort. Im Dorf störte man die Anwohnenden, die schon schlafen wollten und sonst blieb nur noch die Strasse übrig. Dafür konnten die Jungen sich aber auch nicht begeistern, da sowohl Sitzgelegenheiten als auch Abfalleimer fehlten. Diese gibt es beim Schulhaus, der Abfall sorgte aber für grosse Kritik in den Gesprächen mit der Gemeinde.

Leander: «Wir hatten schon ein Abfallproblem, einfach weil es zu wenige und zu kleine Abfalleimer gab. Aber sie haben jetzt auch grössere Eimer hingestellt.»

Nico: «Man kann jetzt auch Glas und Abfall trennen. Wobei wir in den Gesprächen explizit gesagt haben, dass wir Dosenbier trinken.»

Max: «Aber das grössere Fassungsvermögen ist schonmal sehr viel wert. Und wir verstehen auch, dass das am Montagmorgen dann auch einfach scheisse war für die Kinder. Es kann halt nicht sein, dass sie am Morgen hierherkommen und es aussieht, als ob hier die Streetparade gewesen wäre.»

Scherben auf dem Schulhausplatz

Dank der Gespräche konnten die Jungs eine Ausnahmeregelung bei der Gemeinde erwirken. Sie dürfen nun nicht mehr weggeschickt werden, solange sie nicht zu laut sind. Die Gruppe sieht das auch als gute Lösung für die Gemeinde. Denn es gibt viele Junge im Dorf und die brauchen irgendeinen Raum. Und so müsse die Gemeinde noch nicht einmal Geld ausgeben, um einen solchen Raum zu schaffen.  Dies nimmt die Gruppe aber auch stark in die Verantwortung, denn jegliche Unordnung wird ihnen angelastet.

Mischa: «Wir waren sicher auch nicht immer perfekt, das ist klar. Aber über die Zeit hinweg haben wir schon ein Gewissen entwickelt, haben alles sauber hinterlassen und sind im Zweifelsfall am nächsten Tag auch nochmals putzen gekommen.»

Max: «Und man gibt das dann auch weiter. Ich bin sicher einer der älteren hier. Es kommen dann immer jüngere Generationen nach. Und denen sagen wir dann auch, dass sie keine Flaschen rumwerfen sollen und dass sie schauen sollen, dass am Ende alles weggeräumt ist. Wir hatten dann nämlich auch schon die Situation, dass das auf uns zurückgeführt wurde, auch wenn das andere Jugendliche waren.

Leander: «Aber es geht ja auch nicht nur darum, dass wir dann angeschwärzt werden. Wir wollen diesen Raum schliesslich auch nutzen. Es soll ein Miteinander sein.»

«Du selbst willst ja auch nicht barfuss in eine Scherbe treten.»

Max

Und so haben die Jungen des Dorfes sich selbst einen Raum geschaffen, der von allen Seiten einigermassen akzeptiert wird. Es gibt immer noch hin und wieder Dorftratsch und die Erwachsenen haben auch noch nie einen Fight besucht. Willkommen wären sie aber, sowohl als Zuschauende als auch als Kämpfende.

*Alle Beteiligten und das Dorf bleiben in diesem Artikel anonym. Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

Dies ist Teil 2 der Geschichte. Teil 1 findet ihr hier. Im dritten und letzten Teil besuche ich die Jungs an einer Fightnight, um mir selbst ein Bild davon zu machen.