Abstrakte Ölgemälde als «Reflexionsessenz»

Libertin: Was befindest du dich gerade? Ist das dein Atelier im Hintergrund?
Anette C. Halm: Ja genau, gerade ist die Heizung ausgefallen. Das Gas geht nicht mehr an und deshalb habe ich gerade zwei Nächte in meinem Atelier geschlafen. Es hat gerade «gschneiiit» draussen. Manchmal falle ich ein bisschen ins Schwäbische (lacht). Ich wohne in einer ganz alten Wohnung, das Haus selber ist 360 Jahre alt.

Wo lebst du und wie sieht dein Beruf, beziehungsweise dein Alltag als Künstlerin aus?
In Reichenbach an der Fils, das ist neben Plochingen bei Esslingen in der Nähe von Stuttgart. Es ist total ländlich hier. Ich bin bildende Künstlerin und schreibe ab und zu. Mein Alltag gestaltet sich danach, was gerade ansteht – Videos schneiden oder, wenn ich Zeit habe, male ich. Momentan mache ich in Nürtingen ein Projekt, das nennt sich «Kunst am Wegesrand», dafür lade ich verschiedene Künstlerinnen und Künstler ein, und biete ihnen die Gelegenheit, eine Performance vor Ort zu entwickeln, die Bezug nimmt zur Stadt oder zu einer Persönlichkeit, die in Nürtingen etwas bewirkt hat. Dazu muss ich Konzepte schreiben, Gelder beschaffen, Anträge stellen und nach Ausschreibungen schauen… das nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber für dieses Projekt habe ich bereits über zwanzig Kunstschaffende, und hoffe, dass das mit dem Crowdfunding klappt – parallel dazu gibt es eine App, damit kann dann jede und jeder durch das Projekt «wandeln», es gibt insgesamt drei Streckenvariationen.

Gibt es noch ein weiteres aktuelles Projekt?
Zusätzlich arbeite ich an einem Projekt in Esslingen am Neckar, es geht um den berühmten Opernsänger Cornelius Hauptmann. Seine Mutter wurde 92 Jahre alt und starb vor eineinhalb Jahren, seither befasse ich mich mit seinem Elternhaus. Ich dokumentiere den Prozess, wie das Haus stets leerer wird – es geht hier um den Verlauf eines Lebens und was ein Mensch hinterlässt, wenn er endgültig geht. Nicht nur diese tiefe Leere, wenn er gegangen ist, sondern auch, was sichtbar bleibt. Ich führe mit den Familienmitgliedern Interviews, mit seiner Schwester habe ich rund sechs Stunden am Stück gesprochen. Danach war ich geschafft, aber es war so toll und intensiv. Die daraus gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen bringe ich unmittelbar in meine Malerei ein.

«es existiert eine Art Co-Abhängigkeit zwischen den Werken»

Du nutzt also immer solche Synergien zwischen deinen verschiedenen Disziplinen?
Genau, deshalb sind die Bilder auch abstrakt. Es geht mehr um Emotionen und Gedanken, die dann aus den Konzepten in die Malerei einfließen. Man spürt das auch in der Gegenüberstellung der Endergebnisse, es existiert eine Art Co-Abhängigkeit zwischen den Werken. Im Moment befinde ich mich in einer Schwarz/Rot-Phase, es könnte dann aber auch Richtung Orange oder langsam zu Gelb gehen bis zum Ende hin. Thematisch bewege ich mich zwischen Trauer, dem Leben, der Liebe, weil mir ganz viel erzählt wurde über Renate Hauptmann, die Mutter von Cornelius, ihr Leben und auch über die Kinder, wie sie zu ihr stehen. Sie hatten in der Familie ein gutes Verhältnis zueinander, obwohl ein Unterschied von zwanzig Jahren zwischen den vier Kindern besteht.
Am Freitag habe ich einen Videodreh, wo der jüngste Sohn das Lied «Have I told you lately that I love you» von Rod Stewart auf einem alten Flügel aus dem Jahr 1880 spielen wird. Den Flügel werde ich als Dankeschön für die ganze Arbeit bekommen. Für mich hat das Instrument aber vor allem einen ideellen Wert. Nach dem Dreh werde ich ins Atelier gehen und malen. Das kann unter Umständen die ganze Nacht gehen… Ich male, wenn ich über das Konzept, die Entstehung der Idee nachdenke und später, wenn ich reflektiere, den Videoschnitt mache oder in diesem besonderen Fall unmittelbar nach den Gesprächen mit den Angehörigen. Ich fungiere wie eine Art Bindeglied und nehme das Erzählte auf und schütte es dann in dem Medium der Malerei wieder aus. So ist das immer aneinandergekoppelt.

Dann ist das Malen für dich eine Art Verarbeitungsprozess?
Ja, es ist auch ähnlich einer Art Meditation, während der ich nachdenke. Ich höre dazu keine Musik, bin die ganze Zeit in meinen Gedanken oder recherchiere kurz einem Kunstschaffenden der mir einfällt. Dann male ich wieder weiter. Diese Ruhepausen sind für mich ganz wichtig, ich würde sie als «Reflexionsessenz» bezeichnen.
In dem Haus der Familie Hauptmann habe ich jeweils eine Kamerafahrt gemacht, je leerer es wurde. Acht Tonnen wurden beim ersten Mal entsorgt und jetzt wurde es anscheinend ganz leer geräumt. Dazu mache ich auch Fotos und dokumentiere wie es leerer wird. Das hat sich erst entwickelt, die eindeutige Nachstellung ist nicht da, sonst hätte ich mir Markierungen am Boden gemacht. Ich bin noch nicht sicher, ob ich die Fotos dann analog entwickeln lassen werde oder eine Dia-Show machen. Ich sammle immer zuerst und am Ende überlege ich, was ich preisgebe.

Also zuerst das Material, dann die Selektion und daraus entsteht dann nachträglich das Konzept?
Nein, ich mache schon zuerst strikt das Konzept, aber es passiert dann beim Machen so viel, dass ich dann oft zu viel produziere, weil ich ja permanent aus dem Prozess weiterentwickle. Und danach merke ich erst, dass vieles durch Zufall entstanden ist. Ergo gibt es ganz viel Ausschuss. Ich habe jetzt schon fünfzehn Gemälde von zwei auf zwei Metern und weiss, dass nur neun davon gut sind – das ist aber ein guter Ausschuss! Die schlechten werden übermalt, ähnlich verhält es sich oft auch bei Videos. Ich habe eine Skype-Serie gemacht, da habe ich Menschen von einem Chat in eine Skype-Session gelockt und sie haben mir dann persönliche Geheimnisse anvertraut. Das hat mich total fasziniert, dass so etwas überhaupt geht. Darunter waren auch harte Sachen, wobei man natürlich nur annehmen kann, dass es sich um die Wahrheit handelt. Ich werde diese Videos natürlich nie zeigen, weil ich die Menschen nicht blossstellen will, deshalb habe ich die Geheimnisse in Malerei transformiert. Das Video wird dann gelöscht, nachdem ich nochmals den Ton verwendet habe und Wortfetzen in die Bilder integriert habe. An dieser Arbeit bin ich schon seit zehn Jahren.

Anette C. Halm bewegt sich als Konzeptkünstlerin im Bereich Performance, Video, Malerei und Fotografie. Sie machte ihren Abschluss in Bildender Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Prof. Christian Jankowski, Prof. Dr. Felix Ensslin und Mike Bouchet. Außerdem studierte sie im Rahmen eines Auslandssemesters Neue Medien an der Kyushu Sangyo University in Japan.

(Titelbild von Mensch, Montag: https://reimer-photograph.com)

Was waren denn zwei prägnante Geheimnisse, die dir geblieben sind?
Besonders war ein Mann um die 30, der mir erzählt hat, dass er sich beim Sex gerne als Frau verkleidet. Er hat sich dann vor mir, vor der Kamera umgezogen und seine gebastelten Brüste gezeigt. Das empfand ich schon als sehr privat.
Das zweite war eine Vergewaltigung, das war weniger schön und davon möchte ich nicht erzählen.

Ein wirklich intensives und spannendes Projekt! Auch sehr tiefgründig… Hast du bisher immer in Deutschland gelebt?
Genau, meine Reisen waren meist an eine Ausstellung gekoppelt. Längere Zeit habe ich nur in Japan gelebt.

Wo warst du denn bisher auf der Welt, was hat dich von A nach B getrieben?
Ich war bereits in Rom, Istanbul, Warschau… aber Japan war wahnsinnig schön, ich war dort im Rahmen eines Auslandssemesters für Neue Medien an der Kyushu Sangyo und hatte ein Stipendium. Ich habe noch heute eine Freundin, wir schreiben uns regelmässig. Japan hat mich wirklich begeistert!

Wie war das? Was war anfangs schwierig und was hast du zu schätzen gelernt? Was hat sich von deinem Leben in Deutschland unterschieden?
Schwierig war natürlich die Sprache (lacht)! Es gibt auch zwei Schriftformen. Die Kommunikation hat dank Google Übersetzer funktioniert. Ich habe eine zwanzigjährige Tochter und damals, als ich zu studieren begann, war sie vier Jahre alt, das war schon ein Spagat! Ich musste alles gut organisieren, damit sie von morgens um 8 Uhr bis abends um 18 Uhr beschäftigt war und ich meine Zeit hatte, um zu studieren. Ich fing dann um 20 Uhr abends wieder an zu arbeiten. Manchmal bin ich auch bis nachts mit nur vier Stunden Schlaf wach geblieben. Ich habe dann am Wochenende den Schlaf nachgeholt. Am Sonntag war aber immer unser Tochter-Mutter Tag. Kurzum, als ich in Japan war, war ich alleine und plötzlich hatte ich enorm viel Zeit und konnte mich auf meine Arbeit und meine neue Umgebung, die Kultur Japans konzentrieren, da war ich extrem produktiv.

Wie war es, mit über 30 mit einem Kunst-Studium anzufangen?
Ich hatte permanent das Gefühl, ich hätte mit 33 Jahren zu spät mit dem Studieren angefangen. Tatsächlich war ich zu alt für viele Stipendien. Ich musste immer etwas suchen um zu «überleben». Ich wusste, wenn ich noch nebenbei arbeite, bleibt gar nichts mehr. Ich musste sehen, dass ich mit dem, was ich jeden Tag getan habe, Geld verdiene und so hatte ich alle Ausgaben runtergefahren, um mit 400 bis 500 Euro pro Monat durchzukommen. Früher war ich in der Werbung und hatte ein ganz gutes Leben. Ich hatte dann aber glücklicherweise die Unterstützung meiner Familie.
Ich wusste immer, dass ich nichts anderes als Kunst machen darf um irgendwann erfolgreich zu werden und habe mich dann selbst zum «Kunstwerk» erklärt. Nach dem Motto: Egal was ich mache, ich bin die Kunst, die Kunst bin ich! Ich habe dann zum Beispiel auch eine «Putz-Performance» gemacht, in der  ich über Kunstgeschichte referiere.

«Ich hatte permanent das Gefühl, ich hätte mit 33 Jahren zu spät mit dem Studieren angefangen»

Das erinnert mich an die Aktionen von Andrea Fraser, die Institutionskritikerin!
Ja genau, aber ich habe meine Performances nicht in einem Museum oder anderen öffentlichen Räumen, sondern in privaten Haushalten umgesetzt. Ich brauchte das Geld auf die Hand. Ich war auch bei älteren Leuten und habe ihnen Unterhaltung geboten – ich habe einfach mit ihnen gesprochen. Dafür konnte man mich für 25 Euro die Stunde «buchen».

In dem Sinn eine Art «soziale Kunst», oder wie würdest du deine künstlerischen Aktionen bezeichnen?
Genau, das war auch besonders geeignet für ältere Leute, die zuhause und nicht im Heim waren, mehrheitlich Leute aus meinem Bekanntenkreis. Mit solchen Dingen habe ich mich finanziert. Ich hoffe aber, dass es jetzt aber finanziell bald losgeht, und zwar so richtig (lacht)!

Wie hat sich dein Aufenthalt in Japan auf deine Kunst ausgewirkt?
Es war so toll dort, weil ich plötzlich soviel Zeit hatte und nicht mehr alles organisieren musste. Ich musste mich nur um mich kümmern, das war unglaublich. Die neuen Eindrücke, die andere Kultur. Es ist viel passiert in dieser Zeit, ich habe damals viel Neues entwickelt. Man forscht dann natürlich auch in der Kultur… es gibt dort beispielsweise ganz tolle «Love Hotels», deren Besuch bei allen Geschlechtern kulturell verankert ist. Man trifft sich dort, auch die Jugend, singt Karaoke und schaut WM… die Wohnungen in Japan sind relativ laut und hellhörig. Die «Love Hotels» bieten für ein paar Stunden eine gewisse Privatsphäre. Mädels gehen nach dem Shoppen für ein oder zwei Stunden dorthin, um sich zu entspannen. Mich hat natürlich auch besonders fasziniert, was es dort für Sexspielzeug gibt. Ich dachte, ich kenne mich aus (lacht), aber die Japaner sind unglaublich.

Das ist also auch ein Bereich, der dich für dein Kunstschaffen interessierst?
Ja! Ich habe mich verkleidet, man konnte in jedem Hotel anrufen und Kleidungsutensilien bestellen. Ich habe dann die Kleidung eines Putzfräuleins bestellt und dachte, das sieht sicher lustig aus und wird mir zu klein sein, wenn ich das anziehe. Es hat aber tatsächlich gepasst! Männer verkleiden sich dort wahrscheinlich auch, es gibt auch grosse Grössen und die Japaner sind alle so schlank, es gibt einfach keine beleibten Japanerinnen!
Ich habe mich dann dort im Hotel aufs Bett gesetzt und Fotos gemacht, diesen Akt quasi dokumentiert als Fotoarbeit. Das war ein interessantes, soziokulturelles Gefühl!

Hast du damit auch versucht, die Kultur gewissermassen «anzuverleiben», sie zu spüren?
Richtig! Ich werde auch wieder nach Japan gehen…

Wie würdest du dieses Lebensgefühl in einem Satz beschreiben?
Unglaublich einfach, voller Sonnenschein. Wenn ich morgens die Strasse entlang ging, hat mich jeder gegrüsst und angelächelt. «Kon’nichiwa»! Du kannst soviel falsch machen und alle bleiben freundlich. Niemand kritisiert. Dort herrscht ein ganz anderes Denken, die Leute sind grundsätzlich immer höflich. Und das Essen… Lebensmittel sind für die Japaner das höchste. Es gibt dort wirklich gesundes Essen ohne industrielle Zusatzstoffe. Auch gibt es dort einen ganz anderen, viel bewussteren Umgang mit Nahrungsmitteln.

Wo hast du dort gewohnt?
Ich hatte eine Wohnung, die ich vom Stipendium zur Verfügung gestellt bekommen habe. Das war Luxus pur! Zwei Stockwerke unter mir hat jemand aus Deutschland gewohnt, der auch ein Stipendium über eine andere Stiftung hatte.

Zurück zu deinen Werken, du schreibst auch?
Ich schreibe Tagebuch, und notiere Beobachtungen, die ich draussen mache. Da kommen oft auch Gedanken über soziales Verhalten und ob man daraus etwas Neues entwickeln kann. Es gibt ja so simple Dinge, beispielsweise wenn du neben jemandem hergehst und dasselbe Schrittempo einnimmst, merkt die Person das sofort. Wenn du aber in einem anderen Schritttempo läufst,  bist du unauffällig und wirst nicht registriert. Solche Effekte sind irre, genau diese Dinge faszinieren mich!

«Da kommen oft auch Gedanken über soziales Verhalten und ob man daraus etwas Neues entwickeln kann.»

Welche Künstlerinnen und Künstler inspirieren dich zu dieser Thematik oder allgemein?
Ha, ich liebe Cindy Sherman! Klar, eine ganz grosse Künstlerin. Leigh Ledare hat eine tolle Arbeit gemacht, er hat seine Mutter beim Geschlechtsverkehr fotografiert. Er war ganz nah dran sozusagen, das sind heftige Fotos. Das ist auch seine beste Arbeit, wie ich finde. Jonas Burgert liebe ich von der Malerei her. Marina Abramovic ist unerreichbar, sie ist einfach aussergewöhnlich diszipliniert. Ich versuche auch immer an meine Grenzen zu gehen und über mich hinauszuwachsen, aber sie ist nicht zu toppen.

Sie ist natürlich eine Ikone…
Absolut! Es ist einfach bewundernswert, was sie tut.

Worum geht es dir denn primär in deinen Bildern und in der Fotografie?
Die Malerei ist immer gekoppelt an Videoarbeiten, deshalb tragen die Serien alle die Bezeichnung «Thinking about Video Art» plus den jeweils individuellen Titel des Videos. Da geht es um Emotionen und Gedanken und den Transport, eben die «Reflexionsessenz» der Videoarbeiten. In der Fotografie habe ich unterschiedliche Dinge gemacht, beispielsweise fotografische Dokumentationen von den Performances. Ich bin ein Jahr lang mit meiner Tochter Sissi an verschiedene «Lost places» gereist, wo wir begonnen haben, zusammen zu arbeiten und zu recherchieren, welcher Mensch an diesen Orten einst gelebt hat. Unsere Arbeit bestand darin, den Geist aufleben zu lassen, dafür habe ich dann Perücken besorgt, Kleidung nachnähen lassen und daraus eine identische Nachahmung gefertigt. Sissi hat mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten den Geist nachgespielt und ich habe Fotos davon gemacht. Die Arbeit heisst «Schönheitsfamilienwahn».

Das klingt nach einer starken familiären Kooperation!
Die letzte Arbeit machen wir seit drei Jahren, dafür haben meine Tochter und ich die Rollen eingetauscht, da hat sie mich fotografiert. Inspiriert waren wir von Irina Ionesco, die ihre minderjährige Tochter anzüglich fotografiert und die Fotos an Playboy verkauft hat. Da gab es auch eine Klage der Tochter Eva Ionesco an ihre Mutter. und den Film «I am not your fucking princess». Sissi hat mich für diese Arbeit analog fotografiert in denselben anzüglichen Posen mit ähnlichen Requisiten. Dafür habe ich ihr damals als Siebzehnjährige freie Hand gelassen und sie meinte «Mama, ich will nicht, dass du nackt in einer Ausstellung hängst, wenn Freunde kommen!» Mittlerweile hat sich das aber geändert und sie fotografiert mich auch nackt (lacht). Sie hat mittlerweile auch mehr Erfahrung. Das war ein richtiger Entwicklungsprozess und das ist spannend an der Arbeit. Die Fotos werden nicht retouchiert, obwohl ich älter geworden bin und mein Körper nicht den Massen eines «Skinny Role Models» entspricht. Das sieht man dann auch alles auf den analogen Bildern.

Das sind aber sicher starke Bilder!
Ja, das ist auch eine Fotoarbeit und keine Dokumentation. Aber es geht eben um diesen kritischen Hintergrund und den Rollentausch. Sissi studiert jetzt übrigens auch Kunst.

Eine schöne Synergie in der Familie – was ist denn deine Vision und was konntest du bisher davon realisieren?
Mein Traum war von klein auf das Malen! Malen und am Meer leben (lacht), das war ein kindlicher Traum. Da weiss man noch nicht, worum es in der Kunst geht. Ich war zuerst in der Werbung tätig und habe erst mit 33 angefangen Kunst zu studieren, bin aber dankbar dafür, weil ich mehr Lebenserfahrung hatte und erkannt habe, worum es als Künstlerin geht. Mein Traum ist es immer noch, am Meer zu leben und das werde ich auch irgendwann (lacht). Und dass sich eine Galeristin oder ein Galerist um alles kümmert, damit ich nicht mehr so viele Anträge schreiben muss, was soviel Zeit frisst. Einfach mehr Zeit wünsche ich mir.

Was wünscht du dir für die kommende Zeit, was soll sich in der Gesellschaft verändern und auch in der Kunst?
Die Gesellschaft ist natürlich ein grosses Thema! Wenn man allein an unsere Umwelt denkt. In ein paar Jahren werden die Penthousewohnungen alle in Flammen aufgehen, wenn wir nicht sorgfältiger mit unserer Umwelt umgehen. Es könnte noch schlimm werden.

Wie siehst du in diesem Zusammenhang die Aufgabe der Kunst?
Ich würde schon sehr gerne mehr politisch arbeiten, tue ich auch hin und wieder mit meinen feministischen Arbeiten, aber ich bin auch ein Angsthase (schmunzelt) und habe nicht diese Energie wie andere Kunstschaffende, die sich einsetzen. Ich gehe nicht auf Demonstrationen, obwohl ich manchmal den Wunsch verspüre. Dafür bin ich aber nicht radikal genug. Ich bin eine Romantikerin und lebe eher in einer Traumwelt ­–  ich liebe das Barocke und Pompöse – aber ohne die Krankheiten (lacht)!

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