Symbolbild Fightclub

Im Fightclub – Wenn sich Junge auf die Fresse geben

In der Stadt ist das Angebot für junge Menschen gross. Je weiter man aufs Land hinaus geht, desto spärlicher werden die Möglichkeiten. Wie beschäftigen sich also junge Erwachsene auf dem Land? Diese Gruppe hier trifft sich einmal in der Woche in ihrem Fightclub, um sich auf die Fresse zu geben.

Disclaimer: 1. Zum Schutz der Beteiligten und des Dorfes bleibt der Ort anonym und die Namen wurden von der Redaktion geändert. 2. Ebenfalls wird in diesem Artikel häufig die männliche Form genutzt. Dies aus dem Grund, dass alle Beteiligten männlich sind.

Es ist Zufall, dass ich von dieser Gruppe erfahren habe. Freunde von Freunden von Freunden von Freunden. Mein erster Impuls war grosse Skepsis und ein leichter Schock. Wie kann so etwas passieren? Wie kann ein Dorf so entarten? Würden die einen Krankenwagen rufen, wenn etwas passiert? Was denken die Eltern? Die meisten Menschen haben wohl den Film «Fightclub» gesehen. So stelle ich mir das vor, als ich das erste Mal davon höre. Die Bilder in meinem Kopf sind blutig, masslos und unkontrolliert. Und doch reizt mich die Geschichte. Ich möchte sie verstehen, dahinter blicken, ihre Perspektive einnehmen.

Ich sitze an einem bunt bemalten Holztisch auf der Veranda des Schulhausplatzes. Hinter mir höre ich eine Gruppe Jugendlicher Volleyball spielen, die ersten Biere werden geöffnet, die Sonne geht unter, die Stimmung ist ausgelassen. Mir gegenüber sitzen fünf Jungs zwischen 20 und 26, die lachend miteinander plaudern und rauchen. Diese fünf Jungs sind alle Teil des Fightclubs. Sie haben diesen Club gegründet, sie alle haben schon gekämpft und einer spielt jeweils den grossen Showmaster und Moderator.

Die ersten gebrochenen Rippen

Entstanden ist der Fightclub aus Langeweile, Bier und der Lust, sich auf die Fresse zu hauen. Nach ersten Kampfversuchen, Ohrfeigen, die zu Fausthieben wurden und dem Drang nach dem Extremen, schlossen sich einige Jungs aus dem Dorf zusammen. Nach den ersten gebrochenen Rippen kamen Boxhandschuhe dazu und dann kam es zu den ersten Kämpfen.

«Es war ein Ausprobieren. Das war nicht einmal ein geregelter Kampf. Das war mehr um zu sehen, wie das ist, eins aufs Maul zu bekommen oder auch einen auszuteilen.»

Felix

Dann sind irgendwann mehr Leute dazugekommen. Die einen wollten in den Ring steigen, andere nur zuschauen. Wie das so sei, habe sich die Sache rasch rumgesprochen und nach einer Weile entstand ein Chat, in dem Fights jeweils angekündigt wurden. An guten Abenden versammelten sich nun bis zu vierzig Leute auf dem Schulhausplatz des kleinen Dorfes.

Die Regeln des Fights sind flexibel

Wie der Kampf abläuft, ist einigermassen geregelt. Es gibt ein Grundset an Regeln, aber die Fighter machen vor allem untereinander aus, was okay ist und was nicht. In den meisten Fällen werden aber einfach die Regeln der Gruppe übernommen. Es gibt drei Runden, jede dauert etwa zwei Minuten. Die Fighter tragen einen Mundschutz und Boxhandschuhe.

Max: «Wir haben immer in der Beiz noch ein Bier getrunken und sind dann zum Schulhaus gewandert. Als wir gekommen sind, haben die Leute immer schon gewartet. Dann haben sich die Fighter bereit gemacht und wenn die ersten ready waren, bin ich auf den Platz gegangen und habe eine grosse Rede geschwungen. Ich habe das Publikum aufgeheizt, die Fighter vorgestellt und etwas Stimmung aufkommen lassen. Nachdem ich die Fighter kontrolliert hatte, ob sie ihren Mundschutz tragen, konnte es dann losgehen.»

Der Ring wird durch das Publikum gebildet. Die Kämpfe finden auf dem sandigen Volleyballfeld statt, das Publikum steht rundherum.  Es darf so hart geschlagen werden wie möglich, auch ins Gesicht. Nicht erlaubt ist Treten oder Stösse mit Knien oder Ellenbogen. Gewinnen kann ein Fighter nach Punkten, die von einer Jury vergeben werden, oder wenn der Gegner aufgibt oder umkippt. Verletzungen gibt es eher selten, aber es wurden doch schon einige Nasen, Daumen und Rippen angeknackst.

Es gibt Grenzen im Kampf

Nico: «Grundsätzlich ist es so… Man darf mit voller Kraft schlagen, aber es geht nicht darum, als Stärkerer den Gegner zu ‹verklopfen› oder jemanden zu dominieren. Und wenn man sieht, der andere hat gerade genug ‹gefressen›, dann geht man nicht mehr bösartig nach. So bleibt es eigentlich ein sehr respektvolles Kräftemessen.»

Die Gruppe achtet aufeinander, Respekt ist wichtig und doch kann es natürlich passieren, dass sich einer verletzt.

Mischa: «Aber das ist auch etwas, das nimmst du in Kauf. Da bekommst du halt ab und zu einen auf die Nase.»

Etwas schlimmes sei noch nie geschehen und selbst nach einem Knock-Out (und der daraus folgenden Gehirnerschütterung) würden sie es wohl noch schaffen, den verletzten Kollegen mit dem Zug in eine Notaufnahme zu bringen. Am Ende könne einem immer etwas passieren, es geschehen ähnlich schlimme Dinge beim Fussball spielen, sagt Nico. Deshalb aber auch die Regeln.

Nico: «Einer hatte mich einmal angefragt, ob er Muay Thai machen könne (das ist unteranderem mit Ellenbogen). Wir haben hier keinen Arzt und deshalb können wir sowas aus meiner Sicht dann nicht verantworten.»

Und meistens seien das ja auch Verletzungen, die einen nicht gleich umhauen. Vom Adrenalin durchströmt, merken die Jungs manchmal erst am nächsten Tag, wenn sie sich etwas gebrochen haben. Dann geht es ab zum Hausarzt.

Rechtliche Grauzone

Im Vornherein klang die Sache für mich hochgradig illegal. Wie könnte es auch legal sein, wenn sich Menschen verabreden, um sich gegenseitig zu vermöbeln. Und wieder bin ich bei meinen Bildern des Filmes. Und ich muss mir eingestehen, dass ich mir das etwas wilder und roher vorgestellt habe. Wir diskutieren über die verschiedenen Aspekte und wie man sie auslegen kann. Es gibt an diesen Anlässen keine Bar, es wird nicht mit Geld gewettet, sie verletzen noch nicht einmal die Nachtruhe, denn um zehn Uhr ist Schluss. Das einzig kritische, es gab auch schon minderjährige Kämpfer.

Mischa: «Zwei unserer Freunde sind erst 17 Jahre alt. Aber das sind gute Freunde von uns und zum Teil mit anderen Kämpfern in der gleichen Klasse. Und da gibt es dann halt vom Jahrgang her Unterschiede. Und wir haben beschlossen, wir machen wegen 17.5 Jahren auch kein Büro auf.»

Keine Plattform für Gewaltexzesse

Nur einmal hatten die Jungs Probleme mit einem Minderjährigen.

Max: «Es war eine Fightnight und wir hatten schon drei Kämpfe gehabt an diesem Abend. Da ist ein junger Typ nach den Fights zu mir gekommen und wollte, dass ich ihm einen Gegner suche. Ihm sei egal wie schwer, einfach jemand der gleich gross ist. Leander hat sich bereiterklärt und ist mit ihm in den Ring gestiegen.»

Leander: «Der Kampf hat angefangen und der Typ hat begonnen, mich zu bearbeiten. Ich bin in der Defensive geblieben und habe erst einmal geschaut, was passiert. Und der andere hatte halt das Gefühl, er wäre jetzt der ultimative Kämpfer und hat angefangen zu provozieren. Er war sehr respektlos und wir hatten alle ein ungutes Gefühl. Dann hatte ich halt genug und habe meine Deckung runtergenommen und habe ihm einen in die Fresse gegeben. Er hat dann sofort aufgegeben.»

Max: «Er hatte sich massiv überschätzt und hatte halt wirklich keine Ahnung. Gleich gross heisst ja zum Beispiel noch nicht gleich schwer und Leander ist halt zwanzig Kilo schwerer als dieser Typ. Wenn du so viel schwerer bist, musst du nichts können. Du schlägst einmal und legst dein ganzes Körpergewicht rein, dann ist die Sache vorbei.»

«Das ist, als würde eine Dampfwalze in einen Bobbycar fahren.»

Nico

Dieser Abend war dann für die Jungs des Fightclubs auch ein Zeichen. Keine Minderjährigen (ausser diesen zwei Freunden) mehr, keine Menschen, die sie gar nicht kennen und keine Menschen, bei denen sie ein komisches Gefühl haben.

Mischa: «Wir haben das dann auch geschnallt, dass die Verantwortung sowohl bei den Kämpfern als auch bei uns liegt. Und dass wir auch nicht irgendwelchen Leuten eine Plattform bieten wollen für Gewaltexzesse. Das soll es ja überhaupt nicht sein.»

Im Hier und Jetzt sein

Was angefangen hat aus einem Jux, ist mittlerweile ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden. Viele haben angefangen, sich sportlich zu betätigen, einige betreiben nun auch andere Kampfsportarten. Das wichtigste dabei ist aber, eine gute Zeit mit Freunden zu haben, sich auszutesten und im Jetzt zu sein.

Nico: «Was interessant ist, ist das Gefühl generell als Kämpfer. Man ist nie so im Moment wie bei Beginn des Fights. Vorher hast du Leute um dich, Musik läuft, du machst dir Gedanken und dann heisst es ‹let’s fight›. Und ab dem Punkt hast du den absoluten Tunnelblick. Du siehst nur noch deinen Gegner. Du checkst gar nicht mehr, was aussendran abgeht, auch wenn alle reinschreien und johlen.».

Felix: «Du bist nur noch auf Instinkt.»

Nico: «Man macht sich so viele Gedanken vorher und dann wird dein Kopf so leer wie sonst nie. Es ist wie eine Meditation.»

«Und das ist das Gefühl, das süchtig macht. All der Weltschmerz, den du je hattest, ist einfach weg.»

Leander

Nico: «Es ist eine riesige Erfahrung. Auf eine Art würde ich das fast jedem empfehlen.»

Mischa: «Das hängt sicher auch stark mit dem Setting zusammen, das wir geschaffen haben. Das Ganze basiert enorm auf Freundschaft.»

Max: «Es geht darum zu sehen, wer ‹landen› kann und nicht wer den anderen fertig macht. Das ist für mich auch das Reizvolle daran. Ich hätte jetzt keinen Bock, mich vor der Reithalle zu prügeln. Niemand von uns prügelt sich gerne und wir sind überhaupt kein Fan von Gewalt. Eher im Gegenteil, wir wollen alle nur eine gute Zeit haben. Aber in Kombination damit, dass es Kollegen sind, kannst du dich wie zu zweit in diese extreme Zone hineinbegeben. Aber mit der Sicherheit, dass du heil wieder rauskommst.»

Der Ring als Lebensschule

Für sie ist der Fightclub ein Safe Space. Ein geschützter Raum in dem sie sich austesten können, ihre Grenzen finden können und diese auch überschreiten können. Sie können einen Raum schaffen, der ihnen viel ermöglicht. Zum Beispiel diesen Adrenalinkick, die Angst, das Gefühl, einen in die Fresse zu bekommen und auch das Gefühl, jemandem einen in die Fresse zu geben. Und das ganz ohne Konsequenzen.

Max: «Wenn ich jetzt im Ausgang bin und irgendwie in eine Schlägerei gerate, dann habe ich viel mehr Angst. Denn ich weiss nicht, was passieren wird, wenn ich zum Beispiel am Boden liege. Und hier ist die Situation ganz klar. Es geht einfach darum, wenn der andere merkt, dass er nicht mehr kann. Dann hat er verloren. Und das ist voll easy, es lacht dich niemand aus. Es applaudieren dir alle für die gute Show. Und du kannst die Erfahrung trotzdem machen, ohne dass du Angst haben musst, dass dich irgendwer absticht oder dich am Boden liegend zusammenschlägt.»

Auch habe Max persönlich viel gelernt. Viel zu oft geschehe es, dass das Leben einem symbolisch in die Fresse haut. Er könne jetzt viel besser damit umgehen, denn er weiss, wie viel er durchhalten kann. Denn durchhalten ist auch schon eine Leistung, es muss nicht unbedingt gewinnen sein.

Das ist Teil 1 der Geschichte. Im zweiten Text rede ich mit den Jungs über die gesellschaftlichen Aspekte.

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