Was hat David Lynch in Olten verloren?

Der für seine surrealistischen Filme, wie «Blue Velvet» oder die Kultserie «Twin Peaks», berühmt gewordene Künstler zeigt im neu eröffneten Haus der Fotografie zum ersten Mal in der Schweiz seine fotografischen Arbeiten.

Im ersten Teil der Serie «Emerging Levels» suche ich das Gespräch mit Kunst- und Kulturschaffenden im Raum Olten, dem Dreh- und Angelpunkt der Schweiz, zumindest wenn es darum geht den richtigen Anschlusszug zu erwischen. Im Kulturbereich konnten in den letzten Jahren nur mit viel Mühe und Eigeninitiative Ideen in die Tat umgesetzt werden. Doch es gibt neue Anhaltspunkte, die zur kulturellen Vielfalt der Stadt beitragen: das Wandelbar Festival, das OltenAir, das Kultourmuseum oder die von Pro Kultur Olten initiierten Kulturplätze. Und auch das Haus der Fotografie ist seit März 2021 Teil von Olten. Neben dem Fotomuseum Winterthur und dem Musée de l’Elysée in Lausanne stellt dieses nun eine der wenigen Orte in der Schweiz und Europa dar, die ihre Ausstellungsräume vollumfänglich der Fotografie widmen.

Remo Buess ist Fotograf und Mitbegründer des International Photo Festival Olten (IPFO), das er zusammen mit Christoph Zehnder und Marco Grob gegründet hat. Mit dem Haus der Fotografie hat das IPFO nun im ehemaligen Naturmuseum Olten einen festen Sitz gefunden. Offiziell jedoch erst in Form eines Zwischennutzungsprojekts, denn es sind bereits Diskussionen im Gange, dass ab 2023 das Kunstmuseum Olten die Räumlichkeiten übernehmen wird. Aber für Buess ist klar: «Wir bleiben in Olten, für uns ist das der ideale Standort, um auch internationale Gäste zu empfangen.» Er betont, dass die familiäre Atmosphäre einer Kleinstadt wie Olten auch von den grossen Stars der Szene sehr geschätzt werde und eine gute Möglichkeit biete, um mit verschiedensten Menschen in ein ungezwungenes Gespräch zu kommen. Das Haus der Fotografie hat momentan noch museumsüblich ab Mittag bis 17 oder 18 Uhr geöffnet. Ziel sei es aber, nicht nur Ausstellungs- sondern vor allem auch Begegnungsort zu werden, der die Möglichkeit bietet bei einem Feierabendbier weiter zu diskutieren. In einem solchen Rahmen sei auch die Idee zum Haus der Fotografie entstanden, nämlich bei einem Kaffee im Gryffe, einer Café Bar in der Altstadt Oltens: dort haben sich Grob und Buess über das kommende IPFO unterhalten, als sie auf das nebenan leerstehende Naturmuseum aufmerksam geworden sind. Kurz darauf ging das Dossier an die Stadt. Mit ihrem Gesuch um finanzielle Unterstützung für die erste Festivalausgabe im Jahr 2017 haben sie eine Absage kassiert. Aber bereits 2019 hat der Stadtrat gemerkt, dass das Festival auf grosses öffentliches Interesse stösst und dieses in der Folge unterstützt. So auch das Vorhaben für das Haus der Fotografie, sodass kurz darauf die Renovierungsarbeiten beginnen konnten. Dies hatte ein Budget von ungefähr 130’000 Franken zur Voraussetzung. 

Im Vorfeld habe ich in Lokalzeitungen von dem Projekt als Zwischennutzung gelesen und als ich das Haus der Fotografie das erste Mal betrete daher umso mehr erstaunt, wie modern und poliert das neue Museum in der Altstadt von Olten daherkommt. Von dieser Ausstrahlungskraft hat auch die SBB mitbekommen und funktioniert seit März 2021 als einziger, zumindest für mich wahrnehmbarer, Werbeträger der Ausstellung «Infinite Deep» von David Lynch. Für diese Ausstellung mussten mehrere 10’000 Franken aufgetrieben werden, damit elf Container mit den Werken des US-amerikanischen Künstlers über den Atlantik eingeführt werden konnten. «Zudem musste viel Eigenkapital in die Räumlichkeiten investiert werden, vor allem steckt aber viel Herzblut und Liebe zum Detail in diesem Projekt», meint Buess weiter. Das fällt mir beispielsweise auch bei den Toiletten auf, wo in einer kleinen Vitrine Kamera-Sammelobjekte gezeigt werden. Ausser den hölzernen Stützpfeilern beim Eingang lassen die Räume kaum Rückschlüsse zu, wie diese vorher ausgesehen haben könnten. Buess erzählt mir, dass sich hinter den Ausstellungswänden zum Teil bis zu drei Meter Hohlraum befänden, bevor dann die schweren Steinmauern ansetzten. «Ziemlich Highend das Ganze», denke ich mir, als ich die Ausstellungsräume betrete. Dieser Eindruck verstärkt sich, als mir Buess von den wohl besten auf dem Markt erhältlichen Linsenwandflutern erzählt, die rund 900 Franken das Stück kosten. Ansonsten tritt kein Licht in die Räume und die Fotografien von David Lynch kommen unglaublich gut zur Geltung. Das ist teilweise sicher auch diesen Spots zu verdanken, die ich versuche zu zählen, aufgrund deren grossen Anzahl im zweiten von insgesamt drei Stockwerken aber aufgebe.

«Lynch’s work resides in the complicated zone where the beautiful and the condemned collide.»

Kristine McKenna (in David Lynch and Kristine McKenna, «Room to Dream», Canongate Books, Edinburgh, 2018, p.5)

Buess macht gelegentlich auch Führungen und verrät mir, dass viele Menschen Lynchs Arbeiten, zum Beispiel gerade die Serie «Distorted Nudes», als verstörend empfänden und er sich diese Bilder auch nicht gerade ins Wohnzimmer hängen würde. Mich überzeugt vor allem die Kuration von Nathalie Herschdorfer, der Direktorin und Kuratorin des Musée des beaux-arts du Locle. Mit der teilweise ungewohnten Hängung der Bilder und den Auslassungen in den Bildfolgen, spiegelt sie Lynchs fragmentarischen Stil und sein vielseitiges Werk stimmig wider. Ausserdem bringt sie eine weibliche Sichtweise in die Ausstellung ein, die ansonsten in Form der drei festangestellten Kunstvermittlerinnen Platz findet.

Wer fotografiert wen?

In der sonst grösstenteils männlich dominierten Fotografieszene macht mich Buess auf eine Freundin von ihm aufmerksam: Celeste Sloman, eine aufstrebende Fotografin aus New York. Auch am IPFO zählen weibliche Fotografinnen wie Yumna Al-Arashi oder Lynsey Addario zu den Protagonistinnen. Ein weiteres Fotografie-Highlight des Jahres stellt für mich die Ausstellung «Inside the Amazon» ab November 2021 im Kunsthaus Baselland dar. Die in Neuenburg geborene Fotografin und Aktivistin Claudia Andujar lebt in São Paulo und zeigt nun im Rahmen des Festivals Culturscapes Amazonas 2021, das in Kooperation mit dem Fotomuseum Winterthur stattfindet, ihre Bilder. 

Doch bevor ich weiter abschweife, zurück zu David Lynchs «Infinite Deep», einer Ausstellung, die gewissermassen zum Abtauchen einlädt. So vergesse ich beinahe, in was für einem Gebäude und in was für einer Stadt ich mich befinde. Der Reiz der Ausstellung und des Ausstellungsortes macht für mich genau dieses Wechselspiel zwischen Gewohntem und Unerwartetem aus.