Dem Hornussen gehört die Kleine Allmend

«Klack» macht es daneben laut – Gianluca hat seinen ersten Nouss der Saison abgeschlagen. Unzufrieden blickt er ihm nach und richtet sich gleich wieder ein, während Heiniger den nächsten Nouss auf den Bock setzt. Für den Abschlag muss alles perfekt vorbereitet sein: die Distanz des Spielers zum Bock, die Position der Füsse, die Drehbewegung.

«Klack», und der nächste Nouss fliegt zwirbelnd in die Ferne. Gianluca betrachtet seinen Stecken, die Fiberglasrute, mit dem man den Nouss schlägt. Er habe den Nouss nicht ganz mit der Mitte des Träfs getroffen, erläutert er, und zeigt auf das Holzstück am vorderen Ende der Rute. «Dann fliegt der Nouss nicht mit der richtigen Rotation und nicht genug weit», so der 14-Jährige. Zufrieden mit seinen Abschlägen ist er erst, als ein Nouss so weit fliegt, dass ihn nicht nur das Laienauge aus dem Blick verliert. «Ich will wieder richtig in Form kommen», erzählt Gianluca, «ich bin schon mehrmals als Einzelspieler mit einem Preis ausgezeichnet worden, daran will ich weiterarbeiten.»

Der Jugendliche hornusst, seit er 4-jährig ist. Ihm gefalle daran die technische Herausforderung und die Abwechslung: «Beim Abschlagen muss man als Einzelspieler präzis sein, während hinten im Feld der Teamgeist zählt.» Aufs Hornussen gekommen ist Gianluca durch seinen Vater, der schon seit langem im gleichen Verein hornusst. Gianluca zeigt nach drüben, wo eine Gruppe einen anderen Trainingsposten absolviert. Der Nachwuchstrainer dort drüben, das sei sein Vater Tobias Lanz.

«Abtue nie mitem Bär!»

Am Posten bei Tobias Lanz werfen sich die Jugendlichen gegenseitig den Nouss zu und üben, ihn mit den Holzschindeln abzufangen. Sie tragen dabei Helme mit Gitterschutz vor dem Gesicht. Lanz erklärt: «Beim Nachwuchs ist ein Helm vorgeschrieben. Zu Saisonbeginn geht es deshalb auch darum, dass sich die Jungen und Mädchen wieder daran gewöhnen, den Blick trotz des Gitters auf den Nouss zu fokussieren.»

Tatsächlich kann ein Nouss mit Geschwindigkeiten von bis zu 150km/h ins Feld fliegen – das könnte schnell ins Auge gehen. Lanz kündigt derweil einen Nouss an und wirft ihn der Gruppe in hohem Bogen zu. Die Kinder recken und strecken sich, wollen ihn «abtue», wie sich das Abfangen des Hornusses mit der Holzschindel im Fachjargon nennt. «Abtue nie mitem Bär!», mahnt Lanz und hebt den Zeigefinger, «das choschtet!» Der Bär? Auf einer Seite der Holzschindel prangt das Vereinswappen mit dem Berner Bär. «Dem Bären wehtun, das gehört sich nicht. Laut Brauch muss man eine Runde zahlen, wenn es doch passiert.»

Unterdessen verteilt sich die Gruppe, die Buben schickt Lanz hinüber zum Abschlagplatz, Larissa und Jana bleiben da. Sie sind zwei der drei aktiven Mädchen in der Nachwuchsmannschaft 2021. Larissa erzählt, dass sie seit vier Jahren hornusst. «Einer der Trainer ist mein Nachbar und hat mich in ein Schnuppertraining mitgenommen», so die Zehnjährige. Seither ist sie aktiv mit dabei. Ihr gefalle, dass die Gemeinschaft bei diesem Sport stärker wiege als der Konkurrenzgedanke. «Ich will auf jeden Fall dranbleiben und will auch als erwachsene Frau noch hornussen», erklärt Larissa.

Schweizer Tradition
Anders als der Schwingsport ist das Hornussen nicht in der ganzen Deutschschweiz verbreitet. Gehornusst wird vor allem im Kanton Bern sowie in den mittelländisch angrenzenden Kantonen Aargau und Solothurn. Heute gibt es schweizweit noch um die hundertdreissig Hornusservereine, den Grossteil von ihnen im Emmental und Oberaargau, ganz vereinzelte in anderen Landesteilen wie Schaffhausen, Basel-Land oder Thurgau.

Schriftlichen Überlieferungen zufolge wird der Sport seit dem frühen 17. Jahrhundert betrieben. Das Hornussen war ein spielerischer Wettkampf zwischen Jungbauern im Emmental und wurde hauptsächlich im Herbst auf den abgeernteten Äckern gespielt. Zu gewinnen gab es traditionellerweise nichts ausser dem offerierten Zvieri der Verlierermannschaft.

Wie steht es apropos um die Frauen in diesem Sport? Lanz wiegt den Kopf hin und her: «Im Nachwuchs haben wir erfreulicherweise immer wieder Mädchen mit dabei, die auch über mehrere Saisons dabei bleiben. Oft verlieren wir sie aber in der Pubertät: Die Schule wird strenger, die Prioritäten verlagern sich. Und im Vergleich mit den Jungen haben die Mädchen bald auch weniger Muskelmasse und somit weniger Kraft beim Abschlag.»

Eigentlich aber stellt der Sport vergleichsweise wenig Anforderungen an Kondition oder Kraft, weshalb Mitglieder allen Alters und nahezu aller körperlichen Voraussetzungen miteinander spielen können. Dennoch sind in den erwachsenen Ligen zurzeit nur wenige Frauen aktiv. «Wir versuchen aber, die Frauen im Sport involviert zu behalten, zum Beispiel als Schiedsrichterinnen», so Lanz weiter. Dass das Etablieren von Frauenmannschaften sinnvoll wäre, bezweifelt er. Zu gross sei die Identifikation mit dem jeweils eigenen Verein, glaubt Lanz: «Natürlich geht es im Hornussen einerseits um den Sport. Andererseits gehört zum Vereinsleben aber auch der gemeinschaftliche Aspekt. Der Verein ist eine grosse Familie.»

Hornussen ist oft Familiensache

Der Verein ist Familie – und Familien sind das Rückgrat des Vereins. Nicht wenige der Mitglieder sind Vater und Sohn, Onkel und Nichte. Martin Thomet, Präsident der Hornusser Gesellschaft Bern-Beundenfeld sagt dazu: «Die familiäre Prägung ist sicher einer der häufigsten Gründe, weshalb jemand einem Hornusserverein beitritt.» Ansonsten habe der Sport tatsächlich keine allzu breite Bekanntheit, so Thomet weiter.

Dass das Hornussen dereinst einen vergleichbaren Medienboom durchleben werde wie der Schwingsport in jüngster Vergangenheit, bezweifelt er. Thomet führt aus: «Das Eidgenössische Hornusserfest 2012 in Lyss wurde live im Fernsehen übertragen. Das hätte der Anfang eines Medienbooms sein können, war es aber nicht.» Er mutmasst, dass die Schwierigkeit nicht zuletzt darin liege, das Spiel in einem Fernsehformat spannend und nachvollziehbar zu gestalten. «Das grosse Spielfeld und die komplizierten Regeln machen es nicht einfach», so Thomet. Auf die Frage, ob eine grössere Bekanntheit wünschenswert wäre, zuckt er die Schultern. Vielmehr liege es an den Vorständen, ihren Verein zu erneuern. «Ich beobachte, dass viele junge Vereinsmitglieder gerne mitgestalten würden – man muss ihnen aber auch Platz machen», erklärt Thomet.

Die kleinen Vereinshäuschen entlang der Bolligenstrasse lassen allerdings erahnen, dass auf den Hornusserfeldern der Kleinen Allmend einst deutlich mehr Betrieb war. An den Holzbaracken stehen zum Teil noch Namen von Vereinen, die es schon lange nicht mehr gibt. Thomet erinnert sich: «Früher trainierten auf der Kleinen Allmend sechs Hornusservereine aus den umliegenden Gemeinden. In den letzten 25 Jahren haben die Vereine aufgrund Mitgliederschwund nach und nach fusioniert.»

Übrig geblieben ist die Hornusser Gesellschaft Bern-Beundenfeld mit drei Mannschaften und einem Nachwuchsteam. Vom Aussterben bedroht sieht Thomet seinen Verein jedoch nicht: Sein Vorstand sei mit jungen und engagierten Leuten besetzt, die Mitgliederzahlen in den Mannschaften und auch beim Nachwuchs seien in den letzten Jahren stabil blieben.

Zwei Hektaren Gras in Bern

Als letzter noch aktiver Stadtberner Verein seiner Sportart haben die Hornusser Bern-Beundenfeld das alleinige Nutzungsrecht für die fünf Spielfelder auf der Kleinen Allmend. Fünfzehn Meter breit und dreihundert Meter lang ist ein Hornusserfeld. Fünf solche Felder ergeben gut zwei Hektaren Land, die den Hornussern mitten im dicht besiedelten Stadtraum zur Verfügung stehen. Eine enorme Fläche – ist sie nicht hart umkämpft? Politische Vorstösse zu einer Umnutzung der Grünfläche würden immer wieder an sie herangetragen, erzählt Thomet. Bis jetzt seien ihre Spielfelder aber nie ernsthaft bedroht gewesen. «Noch umkämpfter ist die Grosse Allmend auf der anderen Seite der Autobahn, weil sie näher am Stade de Suisse liegt und besser erschlossen ist», so Thomet.

Drüben ist tatsächlich mehr Betrieb, Familien auf Picknickdecken, Hobbysportler, Freizeitgeniessende aller Art. Hier auf der Kleinen Allmend grasen nur ein paar Schafe vor den ersten Häuserzeilen auf Ostermundiger Gemeindeboden. Wäre etwas mehr Zufallsaufmerksamkeit nicht wünschenswert, um den Sport bekannter zu machen? «Klar würden mehr Begegnungen und Interessierte nicht schaden», gesteht Thomet. Andererseits gehe von einem Nouss, der nicht in die vorgesehene Richtung fliegt, durchaus eine Gefahr für Umstehende aus – «so gesehen hat es auch Vorteile, dass wir hier am Rande der Stadt trainieren», meint Thomet mit einem Schmunzeln.

«Klack» ertönt es nun auch vom zweiten Abschlagplatz. Dort sind unterdessen einige Mitglieder der anderen Mannschaften eingetrudelt und tätigen nach ihrer langen Winterpause erste Abschläge. Es sind Männer zwischen 25 und 70, man schaut zu, schweigt, kommentiert. Im vorderen Teil des Feldes stehen zwei, drei Männer mit Eimern, um jeden abgeschlagenen Nouss wieder einzusammeln. Am Spielfeldrand tauschen sich Vereinsveteranen mit den Nachwuchstrainern aus. Mütter der Nachwuchsspielerinnen und -spieler sitzen auf den Bänkli hinter den Abschlagplätzen, plaudern und geniessen die letzten Strahlen der sich neigenden Sonne.

Die Schafe am Rand der Allmend werden von der Weide geholt. Mit dem Bäre Tower steht nicht weit entfernt das bald höchste Wohnhaus des Kantons Bern. Und dahinter erheben sich im Abendlicht majestätisch Eiger, Mönch und Jungfrau. Fast wirkt es, als ob das kitschig beleuchtete Dreigestirn direkt hinter dem Hochhaus stünde. Hier auf der Kleinen Allmend sind sich Stadt und Land tatsächlich näher als gedacht.

Text: Martina Hunziker / Fotos: Katharina Scheuner

Verbandsstruktur
Der Eidgenössische Hornusserverband ist in vier Zweckverbände unterteilt. Alle drei Jahre findet ein Eidgenössisches Hornusserfest statt. Ob das Eidgenössische im August 2021 stattfinden kann, ist noch offen. www.ehv.ch

2020 hätte die Hornusser Gesellschaft Bern-Beundenfeld ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert, wäre nicht die Pandemie gewesen. Besonders stolz sind die Berner Hornusser auf ihren bereits fünfmal erspielten Siegertitel am Eidgenössischen Hornusserfest. www.bern-beundenfeld.ch